Hau ab du Angst!

“Hau ab du Angst!” erzählt die Geschich­te von Lot­te, einem auf­ge­weck­ten Mäd­chen, das wie jedes Jahr in den Feri­en ihren Onkel auf sei­nem Schloss besucht. Doch die­ses Jahr wird alles anders…

In einer leben­di­gen Mischung aus Mär­chen­ele­men­ten und rea­lis­ti­schen Bezie­hungs­mus­tern, mit der Span­nung einer Detek­tiv­ge­schich­te und auf­ge­lo­ckert durch Songs und leit­mo­ti­vi­sche Hin­ter­grund­mu­sik (selbst­ver­ständ­lich live) bie­tet das Thea­ter­stück einen unmit­tel­ba­ren Zugang zu allen wesent­li­chen Aspek­ten aktu­el­ler Präventionsansätze.

Dabei ver­zich­tet das Stück dar­auf, die Miss­brauchs­hand­lung sel­ber dar­zu­stel­len. Im Vor­der­grund ste­hen statt­des­sen Lot­tes Erle­ben, Ver­ar­bei­ten und schließ­lich ihr Ent­kom­men aus der uner­träg­li­chen Situa­ti­on. Dafür fin­det die ein­fühl­sa­me Insze­nie­rung eine Spra­che, die weder ver­schreckt noch verharmlost.

“Hau ab du Angst!” rich­tet sich an Kin­der von 6 bis 10 Jah­ren. Die Vor­stel­lun­gen für Kin­der fin­den vor­mit­tags statt, die Kin­der kom­men mit ihren Schul­klas­sen, beglei­tet von ihren Leh­re­rIn­nen (ca. 150 Kin­der pro Aufführung).

Das Stück wird in den Klas­sen anschlie­ßend nach­be­rei­tet, um die zen­tra­len Bot­schaf­ten zu ver­tie­fen. Eltern und Inter­es­sier­te haben die Mög­lich­keit, sich das Stück in sepa­ra­ten Abend-Ver­an­stal­tun­gen anzusehen.

Die Geschichte

Lot­te, frech und uner­schro­cken, begeg­net im Wald dem fah­ren­den Musi­kan­ten, Walt­her von der Vogel­ka­cke, ver­fres­sen und mäßig musi­ka­lisch. Bei­de sind auf dem Weg zum Schloss von Lot­tes Onkel, dem Rit­ter Doppelherz.

Weil angeb­lich im Wald ein böser Räu­ber Grab­bel­fin­ger sein Unwe­sen treibt, darf Lot­te das Schloss nicht mehr allei­ne verlassen.

Ihr passt das über­haupt nicht: Lot­te glaubt nicht an die­sen Räu­ber­quatsch. Eines nachts jedoch bekommt Lot­te unheim­li­chen Besuch: jemand fasst sie an. Es ist eklig, und Lot­te hat Angst.

Als sie Onkel Dop­pel­herz davon erzählt, erklärt ihr der, dass das ein Traum gewe­sen sein muss. Auch der Musi­kant will ihr nicht glau­ben: schließ­lich kann ja nie­mand Frem­des unbe­merkt ins Schloss kommen …

Zum Glück ist da noch die Fröschin, die sich im Brun­nen ver­steckt, damit kei­ner ihre Frosch­schen­kel ver­speist. Sie glaubt Lot­te, auch wenn die kei­ne Lust hat, sie zur Prin­zes­sin zu küs­sen. Die bei­den hecken einen Plan aus…

Differenziertheit

Die tem­po­rei­che, von Slap­sticks und Musik beglei­te­te Ein­füh­rung der so unter­schied­li­chen Cha­rak­te­re erlaubt es im wei­te­ren, die rele­van­ten Aspek­te einer von Miss­brauch gepräg­ten Bezie­hung par­tei­isch und den­noch dif­fe­ren­ziert vorzuführen …

So möch­te auch die Fröschin einen Kuss von Lot­te. Lot­te nimmt sich ihr gutes Recht, die­sen zu ver­wei­gern — und die Fröschin akzep­tiert das. So for­dert auch die Fröschin, dass ihre Exis­tenz im Schloss­brun­nen ein Geheim­nis bleibt. Aber die­ses Geheim­nis bedrückt Lot­te nicht.

Lot­tes Rol­le im Stück ist nicht auf die eines Opfers beschränkt. Über ein Drit­tel des Stü­ckes ist sie vol­ler Ener­gie, Neu­gier und Selbst­be­wusst­sein, Eigen­schaf­ten, die ihr die Iden­ti­fi­ka­ti­on des kind­li­chen Publi­kums sichern. Umso deut­li­cher heben sich im Kon­trast dazu ihre Nie­der­ge­schla­gen­heit und ihre Hilf­lo­sig­keit ab, die in den fol­gen­den Sze­nen immer wie­der zwi­schen Lot­te und ihr eigent­li­ches Tem­pe­ra­ment tre­ten werden.

Walt­her ist zwar der ers­te, der den The­men­be­reich Miss­brauch in der Manier markt­gän­gi­ger Skan­dal­be­richt­erstat­tung ein­bringt. Doch zugleich ist er auch der letz­te, der sich von sich aus bereit erklä­ren wür­de, Lot­te in der heik­len Ange­le­gen­heit bei­zu­ste­hen: Je bedroh­li­cher die Nähe, in die der Miss­brauch rückt, des­to wei­ter wird Walt­her das The­ma von sich weisen.

Der Onkel schließ­lich ist zunächst ein Trau­m­on­kel: Er hat ein Schloss, was er sagt, geschieht, er hat Charme, und vor allem hat Lot­te ihn schreck­lich lieb. Er ist kein Mons­ter, kein offen­sicht­lich Per­ver­ser oder irgend­was, er ist sym­pa­thisch, attrak­tiv und all­seits geachtet.

Macht das Stück Angst?

(Es ist dun­kel, von schräg hin­ten fällt spär­li­ches Licht auf die Büh­ne. Lot­te steht im Nacht­hemd vor dem Vor­hang, in der Hand ihren Ted­dy. Im Hin­ter­grund wer­den Schlaf­lie­der gesummt. Sie spricht wie im Halb­schlaf, ohne dra­ma­ti­sche Betonung.)

Ist da wer?
Wer ist da?
Lass los, bit­te!
Nein, nicht.
Ich will das nicht.
Hör auf.
Geh doch weg!
Ich hab Angst.

In den Nacht­sze­nen, von denen es im Stück zwei gibt, herrscht bei Erwach­se­nen-Vor­stel­lun­gen eine bedrück­te Atmo­sphä­re. Bedrü­ckend ist der Blick auf das Kind, das nicht genau weiß, was los ist, wäh­rend wir Erwach­se­nen genau wis­sen, was los ist: In unse­ren erwach­se­nen Hin­ter­köp­fen rat­tert jede Men­ge Kino.

Anstel­le von Angst erzeugt die­se Sze­ne bei Kin­dern etwas ande­res: Span­nung. Span­nung durch die klas­si­sche Kri­mi-Fra­ge: Was ist pas­siert und wer war es? Im wei­te­ren Ver­lauf des Stü­ckes wer­den die Kin­der nach Ver­dachts­mo­men­ten und Indi­zi­en suchen, die sie mit­un­ter auf fal­sche Fähr­ten füh­ren, mal wird Walt­her, mal die Fröschin ver­däch­tigt. Auf die Fra­ge, was pas­siert ist, gibt die nun fol­gen­de Sze­ne vage Antwort.

Eine detail­lier­te Schil­de­rung bzw. Dar­stel­lung des Miss­brauchs­ge­sche­hens unter­bleibt indes hier wie auch im wei­te­ren. Es geht in Hau ab du Angst! nicht um die kon­kre­ten Taten eines Täters, son­dern um die Dar­stel­lung von all­ge­mei­nen Mecha­nis­men, mit denen miss­bräuch­li­che Bezie­hun­gen ein­ge­lei­tet und auf­recht erhal­ten wer­den,- und vor allem: um Mit­tel und Wege, sich aus sol­chen Bezie­hun­gen zu ret­ten. Die Leer­stel­le, die das Stück in Bezug auf Art und Wei­se des Über­griffs lässt, kann und soll zum Anlass für ergän­zen­de Gesprä­che im Rah­men der Nach­be­rei­tung genom­men werden.